40 Unikate, Acryl auf Leinwand, Keilrahmenunterkonstruktion, Spiegel, Glas sandgestrahlt, Plexiglas, jeweils 50 x 50 cm.
Einführungstext zur Ausstellung Astrid Schröder und Renate Balda
in der Neuen Galerie Landshut auf der Mühleninsel 2023,
von Franz Schneider
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Spielt bei Renate Balda die erfahrene Nutzung der Eigenschaften und sensible Lenkung der Verhaltensweisen des Materials eine wesentliche Rolle in der Entfaltung
eines Bildes, so ist bei Astrid Schröder eine höchst disziplinierte, klar definierte und sich stets wiederholende Bewegungs- und Handlungsabfolge die Grundlage ihres sich seit vielen Jahren
entwickelnden, scheinbar gleichförmigen, aber in Wahrheit unglaublich variantenreichen Werks.
Auch sie ist an der monochromen Malerei orientiert, welche sie in einer ganz besonderen, über Jahrzehnte erarbeiteten und erprobten Vorgehensweise zur Meisterschaft
getrieben hat:
Sehr präzise malt sie senkrechte Linien, eine neben der anderen, jede einen farbgetränkten Pinselstrich lang. So entstehen viele Reihen von Linien in einer
grundsätzlich geometrischen Struktur.
Die „Handschrift“ geht von oben nach unten, von der obersten Linienreihe ist nur die Spitze sichtbar, sie wird von der darauffolgenden Reihe überlappt, so zieht
sich das Schema bis zum unteren Rand durch und ist geordnet in horizontalen Abschnitten. Das einzige Werkzeug ist eine an der Decke montierte Zeichenschiene, mit deren Hilfe die Künstlerin die
Linien gerade zieht und den Rhythmus der eng aufeinanderfolgenden Reihung halten kann.
Nun könnte man meinen, dass auch eine technisch vorgegebene Apparatur, heute etwa ein Computer, eine solch präzise definierte Handlungsabfolge jederzeit ersetzen
könnte. Doch das Gegenteil ist der Fall: Gerade in dieser strengen Anordnung und farblichen Beschränkung bewirkt jede Abweichung der menschlichen Hand, jede kleinste Irritation, jede feinste
Abwandlung, die sich aus dem leichten Verblassen der Farbspur ergibt, eine Lebendigkeit, die, so paradox es klingen mag, in ihrer kalkulierten Strenge von Monochromie und Linienstruktur eine
fühlbare und bewegende Präsenz entwickeln.
Jedes Bild ist in einer anderen Farbe oder - wie bei den hier gezeigten chromatischen Bildern - in einer Farbgruppe gehalten, die sich in lichten und schattigen
Werten präsentiert. Auf die farbige dunklere Grundierung werden in helleren Abtönungen die Linien gesetzt. Jeder Pinselstrich läuft von einem satten in einen blassen Ton aus, und diese immer ein
wenig unterschiedliche Farbintensität, die der Sättigung des Pinsels geschuldet ist, erschafft auf der ganzen Fläche eine bestimmte Farbstimmung, die uns in einer jeweils spezifischen Weise
berührt. Wir kommen nicht umhin, uns in diesem Bildgewebe mit unserer Erinnerungs-, Empfindungs- und Erfahrungswelt einzuknüpfen und es mit unseren Assoziationen aufzuladen und
weiterzudenken.
Zugleich ensteht in diesen Bildern eine ganz besondere Musikalität. Eine wichtige Komponente dabei ist der Rhythmus, der sich in den stets leichten Unterschieden
der vertikalen Linien, aber auch der horizontalen Reihen zueinander aufbaut und sich leicht synkopisch über die Bildfläche stets neu fortsetzt. Wir sind Zeugen einer artifiziellen Anordnung von
Differenz, die meist unterhalb der Schwelle zur bewussten Wahrnehmbarkeit liegt und die deshalb leicht zu oszillieren beginnt. So verwandeln sich diese Bilder zu Energiefeldern: die Bilder
schwingen und flirren, die vielen Pinselstriche fallen wie pulsierende Wasserkaskaden über die Leinwand herab.
Dies greift die Künstlerin auf in ihrer installativen Anordnung an der Hauptwand der Etage: Die historisch-geographische Situation des gotischen Stadels auf dieser
von zwei isararmen gebildeten Mühleninsel, die früher von Kanälen durchzogen war und heute nur noch von einer Fischtreppe gequert wird, findet sich dort ebenso aufgegriffen wie die geometrische
Struktur der Decken- und Dielenkonstruktion aus sich kreuzenden und überlagernden Horizontalen und Vertikalen. Diese Situation am Wasser, mit den Lichtreflexen an der Wasserobefläche, in der sich
die Silhouette der Stadt spiegelt, ist eine der prägenden Kindheitserinnerungen der Künstlerin. Diese Spiegelungen und Lichtreflexe greift sie auch in dieser malerischen Installation auf, indem
sie anstelle der Bildmodule einige wenige Glas- oder Spiegelflächen einbringt. Auf einer davon ist die Flussstruktur des Pinsels durch eine geätzte Lineatur ersetzt, die wie eine emblematische
Zusammenfassung des Gesamt-Ensembles wirkt. Dem aus der Ferne überwältigenden Illusionismus der Installation setzt sie ein weiteres Modul - einen mit einer leeren Leinwand bespannten Keilrahmen -
zur Seite, wodurch dieser visuelle Assoziationsreiz wieder dorthin zurückgeholt wird, worum es sich bei allen Arbeiten der Künstlerin letztendlich handelt: um vibrierende, flirrende, energetisch
akkumulierte Malerei.
Die Lineaturen der Bilder finden sich noch reduzierter, noch unmittelbarer in den graphischen Arbeiten. Dort ist die Linie nicht nur Ergebnis eines klar
konzipierten Arbeitsprozesses, sondern immer auch Ausdruck einer Notation. Sie können Notate gelebten Lebens oder Spuren alltäglicher und vielleicht auch übertragbarer Erfahrungen sein. In ihnen
ist das Subjektive soweit eliminiert, dass sie zu einer Projektionsfläche und zu einem weiten Resonanzraum für die gedanklichen Notate des Betrachters werden können.
Voraussetzung dafür ist, dass der Betrachter bereit ist der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen und in den Dialog mit all diesen stillen und doch so beredten Arbeiten
der beiden Künstlerinnen einzutreten.
Oder, wie es ein Titel von Renate Baldas Arbeiten ausdrückt:
Sich der „experience of just looking“, der Erfahrung des reinen Schauens anzuvertrauen und hinzugeben.