Ines Kohl

 

 

Kohl Ines: Anmerkungen zur Kunst von Astrid Schröder. In: Katalog Astrid Schröder, Polychrome Linienbilder. Anlässlich der Ausstellung Alfred Böschl und Astrid Schröder „Skulptur, Malerei, Zeichnung“ 23. 9 bis 5. 11. 2006 im Diözesanmuseum Regensburg. Hrsg. Verlag Schnell und Steiner GmbH – Regensburg; Kataloge und Schriften - Band 30, Kunstsammlungen des Bistums Regensburg, 2006.


Es hat etwas von Exerzitien. Von einer täglich zu absolvierenden Übung. In gewisser Weise auch etwas von Meditation, wenn auch in der Kunst der Begriff schon über strapaziert wurde. Doch obwohl hier die immer gleichen Übungen ablaufen, um Serien von Farbreihen aneinander zu fügen, kommt keine Monotonie auf. Selten werden mehr als zwei Farben kombiniert, und doch ergeben sich daraus Tiefen im Bildraum, Bewegtheit, schichten sich Horizonte hintereinander, gleichwertig und doch so verschieden. So unterschiedlich, wie auch jeder der auf die gleiche Weise aufgetragenen Pinselstriche vom anderen sich unterscheidet. In der Reihung werden sie zu Streifen von Getreidefeldern, zu gestaffelten Landschaften mit weiten Horizonten, zu fransigen Perlensäumen, zu Kaskaden von Wasser, zu Regenwäldern. Und sind doch eigentlich nur ein Stück erfahrene Zeit. Unendlich kann sich der Blick darin verlieren, dem Betrachter erschließen sich immer wieder neue Wege durch das Bild. Und er bleibt dabei doch immer in derselben Welt.

 

Aus der Ruhe in die Ausdauer kommen, das sei ihr Ziel, sagt Astrid Schröder. Das heißt auch, dass Malen ein Versenken in die Tätigkeit bedeutet und im Glücksfall sich das Tun durch sich selbst erfüllt – also der Weg zum Ziel wird, Zeit sich im zweckfreien Handeln vollendet und zur Poesie im Bild wird.

 

Wie sie den Weg bewältigt und wie sie dieses Ziel erreicht, das legt sie selbst fest. Die Kontinuität des Strichs ist dabei die Konstante, die Variationsmöglichkeiten liegen auf der Breite der Skala, auf der sich die gewählten Farben bewegen. Als drittes Element kommt die Zeit hinzu, in der die Farbstrecke zurückgelegt wird. Die Kontinuität ist der Künstlerin gemäß, zurzeit jedenfalls entspricht die Vorgehensweise ihrer Persönlichkeit und ihrem eigenen Rhythmus. Natürlich könnte sie auch schräge Striche machen, aber das wird dann etwas anderes. Und warum auch? Mit Blick auf die Bilder ist dieses „Warum“ natürlich entwaffnend. „Warum?“ fragt sich dann auch der Betrachter, der doch mit den geraden Strichen bereits genug zu schauen hat. Und von Bild zu Bild Neues entdeckt.

 

Astrid Schröder kommt aus der gestischen Malerei, Jürgen Reipka war ihr Lehrer. Doch bereits während ihrer Zeit an der Münchener Akademie in den 90er Jahren entfernte sie sich von der „Großen Geste“, wie sie es nennt, und fand für sich die „kleine Geste“. Die kleine, geordnete Geste, die die Emotionen in ihre Schranken weist, wenngleich noch zulässt. Denn nirgendwo schlägt sich der emotionale Zustand so direkt nieder wie in den Tätigkeiten, die die Hand ausführt. Hier in der Zeichnung– denn als Zeichnen versteht Astrid Schröder ihr Tun -, die ein Spiegel der Person genauso ist wie ihre Handschrift.

 

Auch wenn das Konzept die Arbeit diszipliniert und jeder einzelne Strich unter der gleichen Voraussetzung geführt wird, so ist doch jeder Strich ein Individuum, denn die Hand wiederholt zwar immer das gleiche, tut aber nicht zweimal dasselbe.

 

Anders als bei Schröders durch den Computerzeittakt reglementierten Zeichnungen ergibt sich hier der Rhythmus aus dem individuellen Zeichentakt, in dem Zeiteinheit für Zeiteinheit, Strich für Strich die Reihe der Pinselspuren anwächst und daraus ein Bild entsteht, wie eine endlose Litanei. Gerade aus den minimalistischen Vorgaben der Arbeitsweise erwächst ein unglaublicher Reichtum an Möglichkeiten.

 

 

Astrid Schröder sieht Parallelen zur Polychromie der Ikonenmalerei. Im Gegensatz zum Kolorismus, in dem sich, grob orientierend gesagt, verschiedene Farben zu Impressionen, d.h. zu Farbeindrücken mischen, will die polychrome Malerei (also die Malerei mit vielen Farben, die nebeneinander gesetzt werden) nicht naturgetreue Eindrücke vermitteln, sondern misst den Farben verschiedene Bedeutungen zu. Die Ausdrucksmittel der polychromen Malerei sind die Farben an und für sich, sie werden also als abstrakte Ausdrucksträger eingesetzt.

 

Ähnlich wie in der streng kanonisierten Ikonenmalerei wird bei Astrid Schröders Bildern Grundfarbe neben Grundfarbe gesetzt, unter Wahrung eines geringen trennenden Abstands, so wie in einem Text Buchstabe neben Buchstabe, Wort neben Wort zu stehen kommt. Dabei entstehen klar abgegrenzte Farbabstufungen und Aufhellungen, aber keine Vermischungen.

 

 

Nun haben wir es hier natürlich nicht mit Ikonenmalerei zu tun, sondern mit einer Malerin, die ihr Tun einerseits als Bewältigung einer Bildstrecke in einem Zeitraum begreift – Astrid Schröder kann aus Erfahrungswerten ziemlich genau sagen, wie lange sie wofür braucht – zum anderen werden die Bilder kraft ihrer monochromen Farbwirkung zu unabhängigen Bedeutungsträgern, sie vermitteln die Farbe als Ereignis. So gesehen, sind sie die Verkörperung der ihnen eigenen Symbolik, die wiederum davon abhängig ist, in welchem Zusammenhang sie gesehen werden – eine einheitliche Farbsymbolik gibt es nicht. Zudem sind sie psychologisch tiefenwirksam, denn die Temperaturen eines Rot, Grün oder Blau beeinflussen die Stimmung des Betrachters unmittelbar. Und sie geben dem Auge ein endloses Sehfeld, da ihre Struktur sich, obwohl auf die immer gleiche Weise entstanden, bei jedem Bild anders entwickelt.

 

 

Und so ist es doch eine auferlegte Übung, ein kontinuierliches Tun, ein täglich zu leistendes Arbeitspensum. So regelmäßig wie ein Atemzug auf den anderen folgt, so setzt Astrid Schröder Pinselstrich neben Pinselstrich, wird Strich für Strich, Reihe für Reihe in steter Wiederholung der gleichen kleinen Geste ein Bild strukturiert, auf dem nur beinahe Ordnung herrscht. Wenn man das gleiche von einer Maschine machen ließen, würde es etwas völlig anderes. Die entlang eines Lineals gezogenen Pinselstriche sind nicht identisch, sie unterscheiden sich je nach der Farbmenge, die der Pinsel aufnimmt und die jedes Mal geringfügig unterschiedlich ist, sie unterscheiden sich nach der Bewegung des Handgelenks, und sei es nur durch zunehmende Ermüdung. So geben diese Bilder letztlich viel von ihrer Schöpferin preis, wenn sie es auch auf eine sehr dezente Weise tun. Denn Denken und Fühlen schlagen sich im Pinselstrich nieder, der im Bildraum den Zeittakt angibt.

 

In diesem Spannungsfeld zwischen mechanischem Tun und Behauptung des Individuums, zwischen statischem Konzept und der Dynamik der Ausführung, durch die jedes einzelne Bild zu einem eigenen Kosmos wird – denn jedes Bild ist in sich abgeschlossen, keines könnte je als Ausschnitt eines größeren Ganzen betrachtet werden! – in diesem Spannungsfeld wiederholter rhythmischer Abläufe mit geringfügigen Abweichungen passiert das nie gänzlich Erfassbare, wodurch ein Bild über sich hinauswächst und Kunst wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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