Ordnung und Zufall

von Hanne Weskott

 

 

 

In: Ausstellungskatalog der Debütantenausstellung, Astrid Schröder Arbeiten 1996-97“, im Kunst- und Gewerbeverein Regensburg 15. – 30. August 1997.

 

 

 

„Schrift von keinerlei Sprache-

Ohne Zugehörigkeit, ohne Verkettung

Linien nichts als Linien“

Henri Michaux 1

 

 

„ Die Kunst ist diese subjektive Leidenschaft, die keinen Anteil mehr an der Welt haben will,“ schreibt Maurice Blanchot. 2  Für Ihn herrscht in der Welt die Unterordnung unter Ziele, das Maß, die Ernsthaftigkeit, die Ordnung, die Wissenschaft, der Staat, die Technik, die Sicherheit der Werte, das Ideal des Guten und Wahren.“ Die Kunst hingegen ist die „verkehrte Welt, der Ungehorsam, die Frivolität, die Unkenntnis, das Übel der Un-Sinn.“ Welch eine altmodisch – romantische Vorstellung von Kunst als der schönsten Nebensache der Welt, welch ein Klischee! Künstler von heute beziehen ihre Daseinsberechtigung häufig gerade aus ihrer Einmischung in die Welt. Sie forschen und dokumentieren, kämpfen für soziale Gerechtigkeit und den Erhalt der Natur. Sie machen sich nützlich, aber sie lassen sich ihre Ziele nicht diktieren. sie stecken ihr Feld selbst ab und bestimmenden Raum ihrer Bewegung. Kunst ist nicht Anarchie, sondern Ordnung, eine Ordnung allerdings, deren Gesetze mit denen der Realität nicht deckungsgleich sein müssen.

Weil Kunst aber weder einer linearen Entwicklung unterliegt, noch durch eine einzige Definition zu erfassen ist, gibt es nicht nur längst ironische Varianten der politisch korrekten Gute – Taten - Kunst, sondern existieren immer gleichzeitig unterschiedlichste Formen künstlerischer Äußerung wie eine Kunst, die das Recht auf Subjektivität und ihre eigene Realität einfordert. Schließlich gilt Kunst seit der Renaissance als subjektive Weltdeutung und gerade Kunst, die sich aus der Welt der Erscheinungen zurückzieht, kann Argumente für deren Deutung liefern. Deshalb fordert der Künstler Jürgen Partenheimer die „ verkehrte Welt des abstrakten, fabulierenden Denkens“, verkehrte Welt deshalb, weil es nicht um Pragmatismus geht. Es gibt also keinen rechnerischen Gewinn für das Bruttosozialprodukt, aber möglicherweise die Öffnung in eine neue Dimension des Sehens und Betrachtens der Welt vom einzelnen für den einzelnen. Wichtig ist, nach Henti Michaux, „das Denken, bevor es Werk wird, als Unterwegssein“ zu begreifen: „Schäme dich nicht, ärgerliche, gemeine, scheinbar nicht für dich bestimmte Orte passieren zu müssen“. Wer auf halbem Wege um seiner „Noblesse“ willen stehen bleibt, wird nie Neues entdecken, wobei Neues in der Kunst immer relativ zu sehen ist. Die Kunst ist in ständiger Bewegung begriffen, eine Bewegung, die wie ein Wasserstrudel im Werden neue Formen aufbaut, um sie im Vergehen zu zerstören, aber nur, um die Unmöglichkeit des wirklich Neuen und versuchen für das Auftauchen auf der Schaumkrone gerüstet zu sein. Sie suchen ihren eigenen Weg, wohl wissend, dass der Pfad schon mehrfach begangen wurde, aber jeder sieht anders und will das subjektiver Erlebnis auf seine Art festhalten.

 

Für Astrid Schröder liegt dieses subjektive Erlebnis in einer Konzentration auf den von ihr selbst bestimmten Weg und die Art und Weise der Bewältigung der Strecke. Sie steckt den Raum ab und wählt die Form der Bewegung. Um im Bild des Strudels zu bleiben: Wer nicht ertrinken will, darf nicht um sich schlagen. Unkontrollierte Bewebung bedeutet den sicheren Untergang. Auf die Kunst übertragen heißt das, bloße Gestik erstickt sich selbst. „Auf einen körperlose Kampf musst du dich vorbereiten“, sagt Henri Michaux, „so dass du allem und jedem die Stirn bieten kannst, abstrakter Kampf, der sich im Gegensatz zu anderen Kämpfen durch Träumerei erlernt.“ Es geht darum, die Zeit des absichtslosen Denkens mit dem Rhythmus des Körpers in Einklang zu bringen. Spachtelhieb neben Spachtelhieb gesetzt, Pinselstrich neben Pinselstrich, solange die Farbe reicht, neu eintauchen, fortfahren, bis der Raum gefüllt ist; mal von der Mitte beginnen, mal von außen, mal vom oberen Rand, mal vom untern; aufsteigende Bewegung, herab fallende Sturzfluten, Verdichtung, Zentrierung, rhythmische Staffelung, Möglichkeiten gibt es viele und jenseits aller Gleichförmigkeit fließt viel Subjektives ein wie beim Schreiben, aber nur „Schrift von keinerlei Sprache“ entsteht. Die selbstgesetzte Ordnung wird als Bewegungsraum und –modus respektiert, aber der Zufall gestaltet mit. Nichts wird korrigiert. Aus Ordnung und Zufall entsteht der Bildrhythmus, der nicht wiederholbar und damit einmalig ist. Astrid Schröder unterwirft sich ihrer malerischen Arbeit wie einem Ritus, in dem Raum, Zeit, Denken, Fühlen, Malen eins werden. Sie suchen ihre Daseinsberechtigung nicht in der Welt der Erscheinungen und weisen nicht über sich hinaus: Sie stellen nur sich selbst dar: jedes Bild ist eine eigene in sich geschlossene Welt.

 

1 alle Michaux-Zitate aus:

Henri Michaux. Bilder Aquarelle Zeichnungen Gedichte Aphorismen 1942-1984

Hrsg. Von Fred Jahn und Michael Krüger. München 1992

2 Maurice Blanchot. Das Unzerstörbare

München Wien 1991. S. 31 ff

 

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