Zeichnen gegen die genormte Zeit

Anmerkungen zur Kunst von Astrid Schröder

 

Acryl – oder Eitemperabilder, Leinwand oder Nessel mit dem Pinsel bemalt: Man möchte meinen, bei diesen technologischen Angaben handele es sich um Bilder im herkömmlichen sinn. Astrid Schröder jedoch bezeichnet ihre Arbeiten als „farbige Zeichnungen“, die in ihrer Beziehung zwischen Linie und Bewegung der klassischen Definition einer Zeichnung sehr nahe stehen, die aber auch aufgrund ihrer Erscheinungsweise bildhaften Charakter für sich in Anspruch nehmen können.

Nähert man sich diesen farbigen Zeichnungen, so kristallisiert sich zunehmend das Verfahren oder die Vorgehensweise der Künstlerin heraus, mit der sie die genannte Ambivalenz von Zeichnung und Bild bewirkt.Nachdem der textile Bildträger seine Grundfarbe erhalten hat (oft ist ihre monochrome Erscheinung das Resultat mehrerer, sich überlagernder Farbschichen!), beginnt der eigentliche Malprozess mit dem Pinsel und einer Schiene als Hilfsmittel, die das Zeichnen der Lineatur auf der Grundfläche erst ermöglicht.

 

Mit dem Pinsel werden die Linien von Oben nach unten gezogen. Durch das Absetzen und erneute Ansetzen des Pinsels, um ihn mit Farbe zu tränken und um den Malprozess wieder fortzuführen, bilden sich modulare Ordnungen mit feinsten Abstufungen der Farbtöne, die an Bewegungsabläufe in der Natur erinnern, beispielsweise an Kornfelder im Sog eines Windes, oder die auch die Assoziation an das Erlebnis eines Musik-Akkordes aufkommen lassen, der völlig verschieden ist von der Summe der Erlebnisse der Teiltöne.

Astrid Schröder erreicht eine innerbildliche Rhythmik in ihren Arbeiten, die in ihrer reduzierten Gestaltqualität außergewöhnlich eindrucksvoll und aufgrund ihres künstlerischen Ansatzes originär ist.

 

Eine weitere intendierte Ambivalenz stellt sich ein: der Objektivierung in Form der Felderanordnung steht die Subjektivierung des Farbausdrucks und des zeichnenden, „handschriftlichen“ Pinsels gegenüber.

Ähnlich asiatischen Kalligraphiezeichnungen versteht die Künstlerin ihre gezeichneten Farblinien als Energieträger, aber auch als gestischen Ausdruck ihrer persönlichen Möglichkeiten.

Schon während der Akademiezeit in München wuchsen in ihr die Vorbehalte gegenüber der „Großen Geste“, wie sie es nennt.

Gemeint war die ausschließlich expressive, gestische Malerei beispielsweise der informellen „Welt-Kunst“ in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, die fernab jeglicher Ordnungsbestrebungen den direktesten Weg zwischen dem Innenleben des Künstlers  und dem entstehende Kunstwerk suchte. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Aussage von Emilio Vedova, einem Protagonisten jener  Kunstrichtung, der Ende 1950 schrieb: „Ich ging durch eine neue Krise. Ich rebellierte gegen die ganze Geometrie, gegen die in meinen Bildern herrschende Strenge und suchte meine ganze Arbeit durch eine größere Spontaneität in Vibration zu bringen.“

 

Etwa 40 Jahre später nimmt eine Künstlerin wie Astrid Schröder eine ihr gemäße Gegenposition ein, die natürlich auch in der Nachfolge einer Kunstströmung der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts zu sehen ist, die das „Minimale“  als künstlerisches Ausdrucksmittel zum Postulat erhob.

 

Hier dürfte die eigentliche, geistige Wurzel im künstlerischen Tun von Astrid Schröder liegen. In jener Zeit gehörte die Erforschung  und Bewusstmachung von Zeit im Zusammenhang mit der „Expansion der Künste“ zu den zentralen Themen der bildenden Kunst. Dabei kann man an Hanne Darbovens „Zahlenzeichnungen“ auf Millimeterpapier, an Roman Opalkas gemalte, kontinuierlich fortlaufende Zahlenreihen oder aber auch an einen Raster aus horizontalen und vertikalen Linien in Werkern der amerikanisch Malerin Agnes Martin denken. Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer künstlerischen Ausdrucksformen ist ihnen die Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Zeit“ gemeinsam, mit der vierten Dimension in der Kunst. „Zeichnen gegen die genormte Zeit“, nennt die Künstlerin im Untertitel ihre Ausstellung, womit sie zu Ausdruck bringen möchte, wie sehr es ihr um ein „Sichtbarmachen der Zeit in der Strecke“ geht.

 

Um dem gerecht zu werden, suchte sie Unterstützung in der Programmierung eines Computers und eines Druckers, der alle drei Sekunden ein Endlospapier um 3 mm weiter transportierte. So genormt der Sekundentakt war, so entschieden musste Astrid Schröder mit dem Zeichnen der Linien auf dem Endlospapier dem vorgegebenen zeitlichen Rhythmus gerecht werden. Demgegenüber stand „naturgemäß“ der persönliche „Bio“ Rhythmus der Künstlerin, so dass die „Zeichnungen“ im Ergebnis wie ein Wettlauf mit der Zeit anmuten. Als Experiment gedacht zeigt diese prozessuale Auseinandersetzung eine Radikalität im Sichtbarmachen von Zeit, wie sie als Erfahrung für ihre Umsetzung in den „farbigen Zeichnungen“ unabdingbar war. So erscheinen  diese dann wie eine Reaktion auf das Experiment, wie eine Visualisierung von Entschleunigung oder auch Verlangsamung von Zeit.

 

Umberto Eco´s Worte in seinem interessanten Essay „Die Zeit der Kunst“ treffen auf jenes Experiment, wie auch grundsätzlich auf die künstlerischen Absichten von Astrid Schröder zu:

„ich habe dies vorausgeschickt, um noch einmal klarzustelllen, dass ein Kunstwerk immer und vor allem ein Substrat, ein Bedeutungsträger oder physischer Ausdruck ist – sogar, wenn es keine Bedeutung vermittelt oder keinen Inhalt ausdrückt (falls das jemals möglich wäre). Wie jedes physische Objekt lebt es in der Zeit und ist dem physikalischen Gesetz der Abnutzung unterworfen. “

 

(In: Zeit. Die vierte Dimension in der Kunst. S. 74. Ausstellungskatalog Kunsthalle Mannheim / Museum Moderner Kunst Wien 1985).

Astrid Schröder´ s  Bildsprache  verkörpert auf der einen Seite Ordnung, auf der anderen Seite das jenseits dieser Ordnung – eine Hinterlassenschaft individueller Spuren: Linien werden zum Wiederhall der inneren Welt und zum Ausdruck einer grundsätzlichen Gestimmtheit, die sich niemals objektivieren ließe. Somit wäre das einzelne Kunstwerk als die Summe persönlicher Erfahrbarkeiten innerhalb eines vorgegebenen „Rasters“ zu verstehen.

Astrid Schröder nimmt mit ihrer Kunst eine Position ein, die sich zwar – wie beschrieben – aus der Tradition verstehen lässt, die aber auch zutiefst heutig – zeitgenössisch ist, in dem sie Anlass gibt, über den Zeitbegriff und seine Wandelbarkeit zu reflektieren.

Vielleicht treffen deshalb die Worte eines japanischen Philosophen auf ihren künstlerischen Ansatz zu:

„Auf der Suche nach dem ureigenen Grund unseres Selbst endlos in der Zeit wandern – das ist der Inbegriff unseres Seins in der Zeit.“ (Keiji Nishitani)

 

Dr. Herbert Schneidler, 2001

 

 

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